Da
er (Pythagoras) glaubte, die Betreuung der Menschen müsse
auf dem Wege über die Sinneswahrnehmung beginnen über
das Sehen schöner Formen und Gestalten und das Hören
schöner Rhythmen und Melodien , so wies er der Erziehung
durch Musik die erste Stelle zu, der Erziehung durch bestimmte
Weisen und Rhythmen, die auf die Wesensart und die Affekte des
Menschen heilend wirkten. Die Seelenkräfte wurden dabei wieder
in ihr ursprüngliches harmonisches Gleichgewicht gebracht.
So erdachte er verschiedene Mittel, leibliche und seelische Erkrankungen
einzudämmen und zu heilen.
Ja, was noch
mehr Beachtung verdient: für seine Gefährten stellte
er sinnvoll die sogenannten Zurüstungs- und Zurechtsweisungsmusiken
(wörtlich: Zurüstungen und Zugriffe) zusammen, indem
er mit dem Geschick eines Daimons Mischungen diatonischer, chromatischer
und enharmonischer Weisen ersann, durch die er die Affekte der
Seele leicht umkehren und ins Gegenteil verwandeln konnte ...
Abends, wenn seine Jünger schlafen gingen, befreite er sie
von dem verwirrenden Nachhall des Tages, reinigte völlig
ihr von den Wogen der Erregung zugeschüttetes Denken und
schuf ihnen ruhigen, von guten, ja prophetischen Träumen
erfüllten Schlaf. Beim Aufstehen befreite er sie von der
Schlaftrunkenheit, Schlaffheit und Benom-menheit durch bestimmte
eigentümliche Gesänge und Melodien, die in ungemischter
Besetzung also entweder nur auf der Lyra oder rein vokal
ausgeführt wurden.
Für sich
selbst brachte Pythagoras derartige Wirkungen freilich nicht mehr
auf solche Weise durch Instrumente oder mit der Stimme
hervor, vielmehr richtete er kraft eines unsagbaren und
schwer vorzustellenden göttlichen Vermögens sein Gehör
und seinen Geist fest auf die erhabenen Zusammenklänge des
Kosmos.
Dabei hörte und verstand er, wie er erklärte, ganz allein
die gesamte Harmonie und den Wettgesang der Sphären und der
Gestirne, die sich darin bewegen. Diese Harmonie ergab eine vollkommenere
und erfülltere Musik als die irdische, denn aus ungleichen
und sich mannigfach unterscheidenden Geschwindigkeiten, Tonstärken
und Schwingungsdauern von Klängen, die aber doch in einer
klaren, überaus musikalischen Proportion aufeinander abgestimmt
sind, werden Bewegung und Umlauf zugleich überaus wohlklingend
und in ihrer Farbigkeit unaussprechlich schön gestaltet.
Von dieser Musik
ließ er sich gleichsam durchtränken, ordnete seinen
Geist in diesen reinen Verhältnissen und übte ihn darin
wie ein Athlet seinen Körper trainiert. Davon gedachte
er seinen Jüngern, so gut es geht, Abbilder zu geben, indem
er die Sphärenmusik auf Instrumenten und durch die bloße
Stimme nachahmte. Glaubte er doch, ihm allein unter allen Irdischen
seien die kosmischen Klänge verständlich und hörbar,
und er hielt sich für würdig, unmittelbar an der natürlichen
Quelle und Wurzel etwas zu lernen, es sich ganz zu eigen zu machen
und selbst im Nacheifern und in der Nachbildung den Himmlischen
ähnlich zu werden, da er allein von dem Göttlichen,
das ihn erzeugt hatte, so glücklich mit zulänglichen
Organen ausgestattet sei. Er meinte, die übrigen Menschen
müßten sich damit zufriedengeben, im Blick auf ihn
und auf die Gaben, die er ihnen bescherte, sich durch Abbilder
und Andeutungen fördern und zurechtbringen zu lassen, da
sie die ursprünglichen, die reinen Archetypen nicht in Wahrheit
zu erfassen vermöchten ...
Jamblichos
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