MAURICE RAVEL
Ich
bin kein ,moderner Komponist im eigentlichen Sinn des Begrif-fes,
weil meine Musik, weit davon entfernt revolutionär zu sein,
eher Entwicklung ist. Obwohl ich immer für neue Ideen zu
haben war (eine meiner Violinsonaten enthält einen ,Blues
betitelten Satz), habe ich niemals versucht, die angenommenen
Gesetze von Harmonie und Komposition umzuwerfen. Im Gegenteil,
ich habe meine Inspiration immer großzügig von den
alten Meistern abgeleitet (ich habe nie nachgelassen, Mozart zu
studieren!), und meine Musik ist zum größten Teil auf
den Traditionen der Vergangenheit gebaut und ist gleichsam aus
ihr gewachsen. Ich bin kein ,moderner Komponist mit dem
Hang, radikale Harmonien und zerstückelten Kontrapunkt zu
schreiben, weil ich niemals Sklave eines bestimmten Kompositions-stils
war. Auch habe ich mich nie mit einer besonderen Schule verbunden.
Ich habe immer gefühlt, daß ein Komponist schreiben
sollte, was er fühlt und wie er es fühlt ohne
zu beachten, was für ein Kompositi-onsstil gerade gangbar
ist. Große Musik, so habe ich immer gefühlt, muß
immer vom Herzen kommen. Musik, die nur aus Technik und Überlegung
erwächst, ist nicht das Papier wert, auf das sie geschrieben
ist.
Das war immer mein Argument gegen die sogenannte moderne Mu-sik
der jungen rebellischen Komponisten. Ihre Musik ist ein Produkt
ihres Verstandes und nicht ihrer Herzen. Zuerst stellen sie durchge-arbeitete
Theorien auf und dann komponieren sie Musik, die diesen Theorien
genügt.
Sie bauen wundervolle Gründe auf, warum die Musik unserer
Zeit zerschlagen und ausgedörrt sein muß, warum sie
mathematisch und verstandesmäßig ist (als Ausdruck
des Maschinenzeitalters). Dann gingen sie weiter und komponierten
diesen Typ von Musik, um ihre Theorien zu rechtfertigen. Das ist
der Grund, warum ich die Werke experimentierender Komponisten
nie allzu ernst genommen habe. Ich habe sie immer als eine intellektuelle
Pose betrachtet. Und große Musik war nie das Ergebnis einer
Pose.
Aber sie hat kein Herz und kein Gefühl. Wir reagieren intellektuell,
nicht emotional auf sie. Und so, obwohl als Experiment allerlei
zur Verteidigung all dieser Musik gesagt werden könnte, ist
sie meiner Meinung nach ein künstlerischer Fehlschlag.
Dann ohne feierlich zu sein , moderne Musik
ist häßlich. Und Musik, darauf bestehe ich, muß
vor allem schön sein.
Ich verstehe nicht die Argumente der Komponisten, die mir weisma-chen
wollen, die Musik unserer Zeit müsse häßlich sein,
da sie der Ausdruck eines häßlichen Jahrhunderts wäre.
Wozu braucht ein häßliches Zeitalter Ausdruck? Und
was bleibt der Musik sonst noch, wenn sie aller Schönheit
entblößt ist! Welche Mission hat sie dann, als Kunst?
Nein. Theorien mögen sehr schön sein. Aber ein Künstler
sollte seine Musik nicht nach Theorien schreiben. Er sollte musika-lische
Schönheit aus seinem Herzen her schaffen, und er sollte inten-siv
fühlen, was er schreibt.
Maurice
Ravel
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